Der erzwungene Schwimmtest oder Forced Swim Test (FST) wird immer noch in vielen Ländern eingesetzt. Die LSCV macht eine Bestandsaufnahme zur Situation in der Schweiz und lanciert eine Petition und eine nationale Kampagne gegen diesen grausamen Test. Um den FST, die damit verbundene Problematik und die Zweifel an seiner wissenschaftlichen Gültigkeit besser zu verstehen, haben wir mit Emily Trunnell gesprochen. Sie leitet die Abteilung für Wissenschaftsförderung und Öffentlichkeitsarbeit im Fachbereich Laboruntersuchungen von PETA.
Der Forced Swim Test (FST) wurde 1977 von Roger Porsolt entwickelt. Hat er heute noch wissenschaftliche Gültigkeit?
Der Test ist aus wissenschaftlicher Sicht heute genauso ungültig, wie er es schon 1977 war. Die meisten Neurowissenschaftler*innen haben inzwischen verstanden, dass die ursprüngliche Interpretation «weniger Schwimmbewegungen = grössere Verzweiflung» keine fundierte Erklärung für das Verhalten eines Tiers im Test ist. Diese Behauptung von Roger Porsolt wurde teilweise bereits in den 1970er-Jahren angezweifelt. Die Bewegungslosigkeit könnte auf eine energiesparende Strategie oder ein erlerntes Verhalten zurückzuführen sein, sie ist aber kein Mass für Depression. Wir können nicht behaupten, zu wissen, was ein Tier denkt, wenn es in einen vollen Wasserbehälter ohne Auswegmöglichkeit gesetzt wird. Wir können aber direkt beobachten, dass das Tier leidet.
Welche Faktoren beeinflussen die Variabilität und damit die Reproduzierbarkeit des Tests? Würde eine stärkere Standardisierung der Testprotokolle die Gültigkeit und Reproduzierbarkeit des FST verbessern?
Die Variabilität beim FST ist sehr hoch. Faktoren wie Stamm, Alter und Geschlecht der Tiere, Wassertiefe und -temperatur, die Grösse des Behälters und weitere Verfahrensunterschiede zwischen den einzelnen Labors beeinflussen das Ergebnis. Doch selbst eine Standardisierung würde am Grundproblem nichts ändern: Der Test misst nicht das, was die Forschenden damit zu messen behaupten. Ein grundsätzlich ungültiges Konzept wird auch durch eine noch so umfassende Standardisierung nicht «richtiger». Durch ein strengeres Protokoll wird der Test weder zu einem wissenschaftlich relevanten Modell einer menschlichen Depression noch zu einem gültigen Wirkstoff-Screening-Verfahren für Antidepressiva.
Hat der Test überhaupt je zur Entwicklung von Therapien für Depressionen beigetragen?
Nein. Kein einziges Antidepressivum kam direkt auf den Markt, weil es das Verhalten der Tiere im FST beeinflusst hat. Praktisch alle heute verwendeten Antidepressiva wurden entweder vor der Entwicklung des FST oder aufgrund klinischer Erkenntnisse oder (wie im Fall von Ketamin) nicht-klinischer Anwendungen entdeckt. Zwar wurden für einige neuere Antidepressiva FST durchgeführt, es gibt jedoch keine Belege dafür, dass die damit gewonnenen Daten nötig gewesen wären oder irgendeine Rolle im Zulassungsprozess für diese Medikamente gespielt hätten. So schreibt denn auch keine einzige Zulassungsbehörde den FST für die Beurteilung von Antidepressiva vor. Die Europäische Arzneimittel-Agentur hält sogar fest, dass «Tiermodelle für Depression sowie Verhaltenstests mit Tieren unter Antidepressiva nur wenig prädiktiv für die menschliche Situation» sind. 2021 habe ich in einem Artikel die Publikationen grosser internationaler Pharmakonzerne analysiert. Die Analyse ergab, dass die Konzerne die Wirkung der getesteten Moleküle beim Menschen mit dem FST nicht vorhersagen konnten. Aus keiner der getesteten Verbindungen ist ein marktfähiges Antidepressivum hervorgegangen.
Wie viele Tiere pro Jahr werden weltweit für Forced Swim Tests eingesetzt?
Das kann man leider nicht sagen, weil einige Länder die Zahl der in Versuchen eingesetzten Mäuse und Ratten gar nicht erfassen (darunter die USA und China, die am meisten Tiere einsetzen), während andere Länder die Zahlen zwar erfassen, aber nicht spezifischen Testprotokollen, also zum Beispiel dem FST, zuordnen. Da der Test seit fast 50 Jahren weltweit in der universitären, der industriellen und der Auftragsforschung eingesetzt wird, ist die Zahl wahrscheinlich astronomisch hoch.
Warum wird der Test heute immer noch so oft verwendet?
Der FST wird zum Teil einfach deshalb beibehalten, weil er schon früher verwendet wurde: Er ist in der Literatur weit verbreitet, folglich sind zahlreiche bestehende Daten verfügbar, mit denen neue Erkenntnisse verglichen werden können. Im Verhältnis dazu gibt es weniger Daten aus tierfreien Ansätzen zur Erforschung von menschlichen Depressionen und zum Testen von Antidepressiva und auch weniger Forschende, die in diesem Bereich ausgebildet oder erfahren sind. Zudem ist der FST kostengünstig und leicht umsetzbar. Auch gibt es immer noch falsche Vorstellungen über den Nutzen des Tests und über dessen Notwendigkeit für neue Arzneimittelzulassungen. Der FST wird nicht beibehalten, weil er funktioniert, sondern weil die Trägheit des Systems bewirkt, dass bekannte Methoden gegenüber innovativen (oder korrekten) Methoden bevorzugt werden.
Welche tierfreien Methoden können den FST ersetzen? Sind die Entwicklung menschlicher Gehirn-Organoide oder Daten aus der Neurobildgebung mögliche Ansätze?
Am wichtigsten ist meiner Meinung nach das Verständnis dafür, dass ein Test wie der FST, der so wenig prädiktiv und mit so grossem Tierleid verbunden ist, sofort abgeschafft werden kann und muss, unabhängig von der Diskussion über mögliche «Alternativen». Eine Abschaffung hätte keinerlei negative Auswirkungen. Davon abgesehen gibt es durchaus für den Menschen relevante tierfreie Ansätze zur Erforschung von Depressionen und zum Testen von potenziellen Antidepressiva. In der Depressionsforschung scheinen Gehirn-Organoide der vielversprechendste Ersatz für Versuche, die normalerweise an Tieren durchgeführt werden, an denen man Behandlungen und Eingriffe vornehmen darf, die bei menschlichen Proband*innen aus ethischen Gründen nicht zulässig wären. Die Neurobildgebung ist und bleibt ein wertvolles Instrument der psychiatrischen Forschung, das sich vor allem im Bereich der funktionellen Konnektivitätsanalysen stark weiterentwickelt hat. Im Bereich des Wirkstoff-Screenings gibt es innovative Ansätze mit induzierten pluripotenten Stammzellen. Diese Zellen, aus denen auch Gehirn-Organoide hergestellt werden können, werden von Patient*innen mit Depression gewonnen und ermöglichen es den Forschenden, die individuelle Genetik und die bekannten klinischen Verhaltensdaten dieser Personen zu berücksichtigen. Ausserdem gibt es die Computermodelle, die dank KI immer leistungsfähiger werden, und Wearables, also elektronische Geräte, die am Körper getragen werden und mit denen in Echtzeit reale Daten von Patient*innen gesammelt werden können. All diese Instrumente basieren auf der menschlichen Biologie.
Wie sieht die aktuelle Situation in den einzelnen Ländern aus ?
Die Beliebtheit des FST nimmt weltweit ab und diese positive Entwicklung hält weiter an:
- Die britische Arzneimittelbehörde MHRA kommt in einem Artikel zum Schluss, dass der FST nicht geeignet ist, um die Wirksamkeit von möglichen neuen Antidepressiva vorherzusagen, und rät den antragstellenden Unternehmen davon ab, Zulassungsgesuche mit FST-Daten einzureichen.
- Das britische Innenministerium hat den Einsatz des FST begrenzt und will ihn schrittweise abschaffen.
- Die amerikanische Zulassungsbehörde FDA fordert keinen FST mehr.
- Im australischen Bundesstaat New South Wales ist der FST verboten und die wichtigsten australischen Geldgeber haben den Einsatz des FST in den von ihnen finanzierten Projekten beschränkt.
- Auch in der EU und in Neuseeland haben Regulierungsbehörden und Regierungsvertreter*innen den Test kritisiert.
Wie stehen die Regierungen und Regulierungsbehörden zum FST? Was steht der Abschaffung des Tests im Weg?
Das grösste Hindernis ist wohl die tief verwurzelte akademische Tradition: Forschende, die den FST seit Jahrzehnten einsetzen, sind auf diese Praxis fixiert, geben sie ihren Doktorand*innen weiter und erhalten so die Tradition aufrecht. Ein weiteres Hindernis ist, dass der Test häufig von Forschenden aus anderen Fachgebieten als den Neurowissenschaften eingesetzt wird. Diese kennen die Kontroverse um den FST oft gar nicht, weil sie mit der einschlägigen Literatur weniger vertraut sind. Dazu gehören etwa Forschende aus der Immunologie und den Ernährungswissenschaften, die Tierversuche einsetzen und sich von diesem schnell durchführbaren Test Informationen zum Verhalten erhoffen, die sie für eine Publikation nutzen können. Erstaunlicherweise gibt es zum FST immer noch falsche Vorstellungen über die Anforderungen der Arzneimittelbehörden für Antidepressiva-Dossiers in der präklinischen Phase.
Würde es die Qualität des Therapieangebots für Menschen mit Depressionen beeinträchtigen, wenn der Test sofort abgeschafft würde?
Nicht im Geringsten. Wie viel Zeit und wie viele Ressourcen wurden bereits verschwendet, weil Hypothesen, die sich im FST bestätigt hatten, weiterverfolgt wurden? Wie viele Chancen wurden verpasst, weil Hypothesen, die sich im FST nicht bestätigt hatten, verworfen wurden? Die moderne Entwicklung von Antidepressiva beruht nicht auf dem FST, und der Test hat noch niemals gültige Vorhersagen zur klinischen Wirksamkeit zugelassen. Er bringt überhaupt nichts. Die vollständige Abkehr vom Tierversuch und die Ausrichtung auf menschliche Daten und auf Instrumente, die auf der menschlichen Biologie basieren, würden die Entwicklung wirksamer Therapiemethoden in der Depressionsforschung nicht behindern, sondern verbessern.
Was können Tierrechtsorganisationen gegen diese Tests unternehmen?
Jede Aktion, die die Öffentlichkeit für die mangelnde Gültigkeit und die häufige Verwendung des FST sensibilisiert, ist hilfreich. Man braucht keinen Hochschulabschluss und keine neurowissenschaftliche Ausbildung, um zu verstehen, wie absurd der FST ist. Je mehr sich die Bevölkerung der Problematik bewusst ist, desto grösser wird der Druck, den Test abzuschaffen. Besonders wichtig ist, dass Tierrechtsgruppen gut fundierte, evidenzbasierte Diskussionen mit denjenigen Behörden und Gremien führen, die die Macht haben, den Test zu verbieten. PETA führt seit 2018 eine Kampagne, die bereits zu wesentlichen Änderungen beim Einsatz des FST geführt hat. Bis jetzt haben uns 18 Unternehmen (darunter zahlreiche grosse Pharmakonzerne), 26 Universitäten und 5 gemeinnützige Organisationen zugesichert, dass sie den Test nicht mehr einsetzen oder ihn künftig nicht mehr unterstützen oder finanzieren werden. In Australien, Neuseeland und dem Vereinigten Königreich hat unsere Kampagne Veränderungen in der regionalen und nationalen Politik bewirkt. Eine Suche im Online-Portal PubMed ergibt, dass die Verwendung des Tests (gemessen an seiner Nennung in Publikationen) seit den 1970er-Jahren stetig zugenommen und im Jahr 2019 mit 595 veröffentlichten Artikeln einen Höhepunkt erreicht hat. Seither nimmt sie erstmals wieder ab.
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